Stolzenau oder der Keller des Grauens! Kapitel 7

Larissa stürmte aus dem Bad. „Mist, ich bin viel zu spät dran, der Bus fährt gleich.“ Larissa war auf dem Weg nach Hannover und hatte ein wenig verschlafen, da wir bis tief in die Nacht philosophierend in der Küche gesessen hatten.
Danny! Dein Handy klingelt, es liegt auf meinem Bett!“ rief Larissa aus dem Badezimmer. Ich rannte aus meinem Zimmer Richtung Telefon.
„ Hallo ?“ schnaubte ich ins Handy. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Stimme : „Hey Danny! Georg hier! Wollte dir nur schnell Bescheid geben, daß du in der ersten Runde als Ordner dabei bist. Die zweite Runde nutzen wir zum Feiern.“ Georg meinte den CSD-Christopher Street Day, eine große Straßenparade quer durch Berlin. Eine der jährlichen Großereignisse! Und das Insomnia war wie immer mit einem der prächtigsten Wagen dabei. „Ja super! Das hört sich nach einem Plan an“, erwiderte ich und wünschte ihm noch einen guten Tag.
Ich rieb meine müden Augen und fühlte mich wie zerschlagen. Mit trübem Blick sah ich wie so oft aus dem Fenster auf die Dächer von Tempelhof und stellte mir einmal mehr die Frage: „Kann man sich selbst therapieren? Ist das hier wirklich ein Ort, an dem man sich selbst finden kann?“ Seit ich denken konnte, war ich ein Querdenker, versuchte den einfachen Gesetzen der Natur zu folgen. Herz und Gefühle regierten meine Gedanken und der Verstand kam dabei jedes Mal zu kurz. Die üblichen Sinnesfragen begleiteten mich seit frühester Jugend: Warum, wieso bin ich?
Sollte der einzige Grund meiner Daseinsberechtigung der sein, als Kind schamlos missbraucht und misshandelt werden zu können, von einer Mutter, die mir nur Hass, Gewalt und Gleichgültigkeit entgegengebracht hat? Oder wurde ich geboren, um wie alle anderen auf diesem Planeten jetzt als Erwachsener ein guter Geldbote für Politik, Wirtschaft und Religion zu sein? Was war daran sinnvoll und erfüllend? Wer hatte mich gefragt, ob ich so aufwachsen und leben möchte?
Mein Blick wurde immer diesiger, die Dächer über der Stadt verschwammen vor meinen Augen.
„Wer bin ich? Und vor allem, wo komme ich her?“ Ich versank in einen meiner Träume:
Aufgewachsen war ich als echtes Dorfkind in Stolzenau, einem kleinen Örtchen direkt an der Weser mitten in Niedersachsen. Ich erinnere mich genau, wie meine Erzeuger auf dem noch unbefleckten Bauland neben der Holländersiedlung ihr Häuschen bauten. Wir waren einer der Ersten! Ein mit hellen Klinkern versehenes Haus, auf einem für mich damals riesigen Acker. Es kamen aber schnell noch weitere Bauherrn mit ihren Familien und machten aus dem Stück Acker in kürzester Zeit eine Wohnsiedlung mit schicken Familienhäusern und sogar einem Spielplatz, der die nächsten Jahre als Anlaufstelle für alle Kinder der Siedlung diente. Strassentennis, Fußball spielen, Skateboard fahren.
Es gab einen Marktplatz, Schwimmbad und Sportplatz, Baggersee und Kieskuhle konnten wir mit dem Rad erreichen. Direkt am Bürgerpark lag unsere schöne, kleine Grundschule. Auf dem Nachhauseweg kamen wir an „ Hilker“ vorbei, einem Tante Emma Laden, der alles an Gummibärchen und Lakritze hatte, um uns glücklich zu machen. Stolzenau bot alles, damit wir Kinder unbeschwert aufwachsen konnten. Eigentlich eine optimale Grundlage für eine Bilderbuchkindheit, sollte man meinen.
Samstags wurde überall Rasen gemäht, der Hof gekehrt und natürlich das Auto gewaschen. Die Nachbarn grüßte man auf gutbürgerliche Weise und lästerte dann bei den Mahlzeiten über alles und jeden. „Erwachsen möchte ich nicht werden!“ Schoss es mir dann immer durch den Kopf.
Ich wanderte durch meinen Traum: die Nachbarskinder bolzten auf dem Spielplatz, ein Nachbar deckte sein Garagendach neu, ein Anderer war im Tratsch mit der Nachbarin. Die Fahrschule direkt am Spielplatz lud einen Schüler ins Auto und fuhr Richtung Ortskern. Alles so normal!

Auf einmal zogen dunkle Wolken auf, der Himmel wurde kohlrabenschwarz , von jetzt auf gleich war es stockduster und die grellen Lichter flackerten wieder auf, aber mein Inneres war vorbereitet! „Sie wird mich nicht brechen! Schmerzen tun nicht weh!“
Ich entschied mich wie immer, wenn ich die Wahl hatte für den Siebenriemer aus Rindsleder.
Ich fing an das Gefühl der Peitsche zu mögen, den Schmerz zu lieben und der einfachste Weg, diesen Zustand zu erlangen war: Hass!
Je mehr sie mich schlug, umso mehr verlor ich meine kindliche Unschuld. Der Hass verhalf mir zu einer Macht und Selbstkontrolle, die meine Erzeugerin in ihrer sich immer mehr steigernden Wut hilflos werden ließ. Sie konnte mich nicht brechen.
Dieser Hass bestimmte fortan mein Leben! Eine Emotion, die ich nie wollte und doch mit nix anderem leben konnte.
Das Wissen als Spielball einer kranken und tablettensüchtigen Frau nach Lust und Laune zur Verfügung zu stehen, brachte mich und auch meine Schwester in seelische Abgründe, die Kinder niemals kennenlernen dürften.
Es zischte….. die Striemen der Peitsche berührten mich zum ersten Mal. Meine Haut fing an zu brennen, es zwiebelte ein bisschen mehr als sonst und ich biss mir auf die Lippen. Tränen schossen in meine Augen, doch ich verbat mir zu weinen. Meine Erzeugerin ließ wie immer ihren Alltagsfrust an mir aus mit den dazugehörigen Anschuldigungen: wir Kinder seien an allem Schuld, ohne uns wäre alles besser. Sie war stocksauer, es zischte immer wieder auf meinen Rücken ein. Sie brach mich nicht! Ich lachte und hörte nicht auf zu lachen. Dieses Lachen! Andere würden es wohl als wahnsinnig oder durchgeknallt bezeichnen, war mein Schutz: eine undurchdringliche Mauer, die alle Qualen versteckte. Meine Erzeugerin machte es immer wütender, welches mich bestärkte nicht aufzuhören. Ich trieb sie zur Weißglut mit meinem Lachen, geboren durch den Schmerz, den sie mir zufügte. Wie schizophren das Leben doch ist, dachte ich damals.
„Danny, wach auf!“ Larissa schüttelte mich. „Du träumst schon wieder.“ Schweißgebadet lag ich auf meinem Sofa und sie saß neben mir, streichelte mir liebevoll über den Kopf und schaute mich besorgt an. „Deine Träume sind sehr schlimm, oder?“ fragte Larissa mitfühlend. „Nein, ich glaube nicht! Sie gehören zu mir, antwortete ich, wenn ich es nicht in meinen Träumen verarbeite, wo dann? Die einzige Möglichkeit in die Vergangenheit zu reisen. Das Erlebte zu verarbeiten.“
Ich war noch in meinem Traum gefangen, als Larissa schon längst unterwegs war und ich in den Partyvorbereitungen für den Abend steckte. Ausgerechnet heute hatte ich wieder einen dieser Träume, das hatte sicher was zu bedeuten, denn heute Abend wollte ich ans Kreuz. Nur in meinen Träumen die Antworten zu suchen reichte mir nicht, ich wollte das Erlebte spüren. Meine innere Unruhe trieb meine Gedanken seit Wochen dahin. Nun, da der Tag da war, an dem der Siebenriemer in mein Leben zurückkommen sollte, beschlichen mich doch Nervosität und ein bisschen Angst.
Zuerst hatte ich an das Insomnia gedacht, um meinen Plan umzusetzen, entschied mich aber dagegen, vielleicht aus Scham, weil mich dort so viele kannten und ich keine Ahnung hatte, was mich erwartete oder wie ich reagieren würde. Also wählte ich das Kino X in Mariendorf, in dem ein guter Freund von mir an der Bar arbeitete. Über den joyclub hatte ich eine Domina gefunden, sie nannte sich Lady Zora, mit der ich dort verabredet war.
Wir schrieben uns schon eine ganze Weile über mein Erlebtes und zu verarbeitendes Martyrium und ich hatte das Gefühl, das sie verstand, um was es ging. Sie war die Erste, die wirklich alles erfuhr von mir, dem Keller in Stolzenau und meiner Erzeugerin, die auf brutalste Art und Weise ihre Kinder züchtigte und keiner merkte was. Oder wie ich damals dachte: “Es wollte keiner sehen!“ Jeder kannte sie und wusste wie sie tickte. Auf Geburtstagen wurde ich von Mitschülern eingeladen und von deren Eltern wieder ausgeladen, ich war der Sohn meiner Erzeugerin. Unsere Brut wollte keiner bei sich im Haus. Der Schein stimmte: Haus, Auto gewaschen und Rasen gemäht! Alles wie es sich gehörte.
Mein Erzeuger war unter der Woche nie zuhause, immer auf Montage in Berlin, damals die größte Baustelle Europas. Am Wochenende, wenn er zuhause war, war sozusagen immer Ruhe, er durfte natürlich wie alle anderen nichts mit bekommen von dem Ganzen und hat es auch nicht! Bauarbeiter sind froh, wenn Feierabend ist und das Bier kalt.
Vier Stationen mit der U-Bahn und dann ab ins Kino X, mein dritter Besuch in diesem kleinen aber feinen Club. Es gab ein Pärchen Kino, ein Labyrinth mit Nischen und Wände mit Glory Hole Löchern, in die Männer ihre Schwänze durchschieben können, in der Hoffnung , das sich hinter der Wand eine anständige Frau verbirgt. Wenn es denn eine Frau ist.
Ich klingelte am Nebeneingang im Hof und eine nette, junge Dame öffnete mir die Tür. „ Hey, ich erkenne dich. Du bist Danny, oder? Der Freund von Mario“, begrüßte sie mich freundlich lächelnd.
„ Hallo! Ja! Korrekt, bin der Freund von Mario“, antwortete ich. Die junge Dame führte mich zu den Umkleidekabinen und verabschiedete sich.
Da war ich nun! In einem Erotikkino! Mein nächster Schritt, um meine wahre Identität zu finden. Mit einem Andreaskreuz, einem Siebenriemer und einer gutaussehenden Domina. „Vielleicht sollte ich mir solche eigenmächtigen Therapieformen nochmal überlegen?!“ dachte ich immer nervöser und angespannter werdend.
Das so genannte Andreaskreuz ist ein großes X, ein beliebtes Spielzeug unter den BDSM`lern , heute sollte es meins werden. Bei der Aussicht überfiel mich leichte Furcht und ich fing vor Aufregung an zu schwitzen.
„Da bist du ja, Danny! Wie schön, das du da bist und wir uns endlich mal treffen“, sagte eine weibliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und Lady Zora stand leibhaftig vor mir. Eine sexy Figur, schwarze enge Lederhosen und ein Lederkorsett, das ihre nicht zu üppige Oberweite gut zur Geltung brachte. Die blondgefärbten, schulterlangen Haare waren mit einem Zopfband zusammen gehalten, ein dezentes Make up rundete das ganze ab. Eine schöne Frau, der man ansah, das ihr Part im Spiel auf der dominanten Seite lag.
„Wollen wir erstmal an die Bar und etwas trinken?“ Sie umarmte mich zur Begrüßung und wir gingen zu Mario.
„ Hi! Danny, altes Haus!“ Mario, wie immer gut gelaunt, grinste mich fröhlich an. „Was möchtet ihr trinken?“ Lady Zora entschied sich für einen trockenen Rotwein und ich begnügte mich vorerst mit einer Cola.
Wir unterhielten uns über meine Träume, meine Vergangenheit, dem Erlebten. Sie war so verständnisvoll und voller Fragen, das ich sie als ersten Menschen empfand, den es ehrlich interessiert! Eine Domina.
Lady Zora wollte viel über meine Erzeugerin wissen und bemerkte schnell, welche Wut bei der Beschreibung ihrer Person in mir hochkam: Bösartig, hinterhältig, berechnend.
Wie oft hatte ich damals gedacht: „Hätten sie verhütet, müsste ich mir die Scheisse heute nicht antun.“ Aber wie es sich damals für eine gute, deutsche Familie gehörte, war es quasi eine Pflicht, mindestens zwei Kinder zu zeugen, ein Haus zu bauen etc. , ein gesellschaftlich anerkanntes , gutes Schaf zu werden, um dann blökend in der Herde dem Wolf hinterher zu rennen, um es mal ironisch zu formulieren.
Den Arm um mich legend, näherten sich Lady Zoras Lippen meinem Ohr, leise und bestimmend sagte sie: „Ich begleite dich jetzt! Wir gehen zurück! Zurück in das Haus in Stolzenau, wir gehen zurück in den Heizungskeller! Der Schmerz, den du heute spüren wirst, ist der Schmerz der Vergangenheit! Nimm ihn an!“
Es lief mir eiskalt den Rücken herunter und Panik überkam mich: „Reiß dich zusammen, Danny! Zieh das durch!“
Ich schaute in Lady Zoras Augen und wusste in dem Moment, das es richtig war. „Na dann! Auf in die Vergangenheit!“ lächelte ich und stand unsicher vom Barhocker auf.
Gemeinsam gingen wir zum Andreaskreuz. Lady Zora hatte einen Koffer dabei, der vermutlich mit allerlei Utensilien vollgepackt war. Am Kreuz angekommen, öffnete sie den Koffer und entnahm ihm zwei Handtücher: „Wir wollen es so realistisch wie möglich machen!“
Ich konnte nur noch nicken, mein Herz raste und der Schweiß rann mir spürbar den Nacken herunter. Innerlich ging ich schon die Kellertreppe hinunter und die grellen Lichter flackerten.
Doch ich war nicht in meiner Aufzuchtstation, ich stand zwanzig Jahre später an einem Andreaskreuz, um mich ebenso züchtigen zu lassen. Ich nenne es mal Eigentherapie.
Lady Zora zog die Handtücher durch die oberen Ringe des Andreaskreuzes. „ Steck bitte deine Hände durch die Handtuchschlaufen, ich ziehe sie dann zu!“ Nun holte sie ihn raus! Den Siebenriemer! Eine so genannte Bullenpeitsche aus echtem Rindsleder. „ Ich musste wirklich lange suchen, bis ich sie gefunden habe“ meinte sie, mein Herz raste. Meine Erzeugerin wäre stolz auf die Domina.
„Und denke bitte an das Codewort, wenn es dir zu viel wird! Ich höre dann sofort auf!“
Man bediente sich im SM- Bereich so genannter Codewörter, um ein sofortiges Ende des „ Spiels“ herbeizuführen.
Mein Codewort war bezeichnenderweise: „ Motherfucker“.
Lady Zora zog die Schlaufen zu. Nun hing ich also am Kreuz meines Schicksals. Würde es eine Reise in die Vergangenheit werden? Eine Reise zurück in den Keller der Grafen von Hoya Strasse?
Ich zitterte am ganzen Körper. Fühlte Angst. Angst, die ich als Kind erfolgreich unterdrückt zu haben glaubte. Konnte ich sie jetzt zulassen? Die Angst? Und den Schmerz? Konnte ich mich jetzt in das gepeinigte Kind zurückversetzen. Konnte ich den Schmerz nun zulassen, der mir an Körper und Seele zugefügt wurde?
Ich schloss die Augen und meine Reise in die Vergangenheit begann.

Nächste Woche geht es weiter…..tiefer und tiefer….

Schmerzen tun nicht weh! – Kapitel 8

 

Reise eines Teddybären
1. Die sanfte Einführung
2. Bizarre Bilder
3. Larissa
4. Der Anheizer
5. Das Kreuz
6. Ein intimer Besuch

4 Kommentare Gib deinen ab

  1. Petra sagt:

    Ich hab dir vertraut,doch du hast das missbraucht.Du hast mich belogen,betrogen und verletzt, mein kleines Herz ganz arg zerfetzt.
    Ich habe es Stück für Stück wieder zusammengesetzt .Ich habe Liebe geboren und nichts davon verloren,das Glück in Kinderaugen gefunden und mich nicht mehr oft in meinen Seelennarben gewunden .Du hast deine Kinder zerstört und niemand hat es gehört ,hören wollen ……
    Es zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben und Ruhe wirst du scheinbar niemals geben .Doch das Karma ist schon dein ,im Alter bist du sehr allein .Kein Kind will in deiner Nähe sein , aus ist der scheinheilige Schein .

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  2. Kuschelterror sagt:

    Sehr schön geschrieben Schwesterherz 🙂

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